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AutorenbildPraxis Pro

Wie viel Optimierung ist optimal ?

Ich möchte mich zu einem Thema äussern, das einerseits mir am Herzen liegt und das bei Diskussionen häufig zur Sprache kommt. Wie viel Vorschriften brauchen wir, damit unser Leben sicherer wird? In meiner Zeit als Hausarzt habe ich die Zunahme von Zertifizierungen aller Art miterlebt. Für jede noch so selbstverständliche Leistung musste nochmals eine Prüfung abgelegt werden. Die Weiterbildung war nicht mehr freiwillig aus eigenem Interesse, sondern wurde zunehmend mit Punkten bewertet. Wer diese Vergabe selbst zertifizierte, war nicht klar. Aber es war sowieso nicht wichtig, weil aus der Eigeninitiative heraus genügend Fortbildung zusammenkam, ohne dass eine zusätzliche Anstrengung gegen Ende des Jahres geleistet werden musste. Waren diese Vorschriften also für die wenigen schwarzen Schafe gedacht, die sich nicht um ihr aufgefrischtes Wissen kümmern? Und wer prüft jetzt, ob sie sich diesbezüglich wirklich geändert haben? Ein anderes Kapitel sind die Vorschriften im Praxislabor. Auch dort sind Kurse notwendig geworden und Zertifizierungen sind vorgeschrieben. Wenn ich die Zeit vor der Einführung der Vorschriften mit der Zeit danach vergleiche, so hat sich wenigstens in meiner ehemaligen Praxis wenig geändert. Es war für mich schon vorher wichtig, dass die Laborwerte stimmten und ich hatte stets an Qualitätskontrollen, damals noch auf freiwilliger Basis, teilgenommen. Auch die Kenntnis über den Umgang mit dem Blut oder dem Urin vor der Analyse war schon vorher wichtig, weil nur so verlässliche Werte zur Interpretation kommen. Waren so viele meiner Kolleginnen und Kollegen derart sorglos, dass man ihnen diese Vorschriften auferlegen musste? Ich glaube es nicht, denn in meinem Ärztezirkel, der schon seit 30 Jahren besteht, habe ich nie den Eindruck bekommen, dass dies der Fall war. Übrigens sind die Qualitätszirkel mittlerweile auch vorgeschrieben worden.

Dann noch das Thema Praxisapotheke. Auch dort sind die Vorschriften und Kontrollen ausgeweitet worden zu einem Ausmass, das gelegentlich Kopfschütteln erzeugt. Temperaturkontrollen in Kühlschränken, Ampullenschubladen und Medikamentenlager entscheiden darüber, ob ein Medikament weiter gebraucht werden darf. Wenn ich aber in den Tropen in den Ferien bin und miterlebe, wie Medikamente bei Sonnenexposition in Verkaufsläden herumstehen und die bei uns vorgeschriebenen Limiten längst überschritten haben und trotzdem verkauft werden, so ist das zwar nicht optimal, aber ist es wirklich auch gefährlich? Oder wenn ich miterlebe, wie meine Patienten ihre Hausapotheke organisiert haben und hemmungslos längst abgelaufene Medikamente mit Erfolg weiterverwenden, angebrochene Salben, die wir in der Praxis entsorgen müssen, wiederverwenden und offenbar keinen Schaden erleiden, dann frage ich mich, was mit den Vorschriften eigentlich verhindert wird. Ich möchte nicht verharmlosen, aber sind diese kostentreibenden Vorschriften auch auf ihre Wirksamkeit geprüft oder können wir sie uns in unserem Wohlstand einfach leisten? Ich kenne Kollegen, die in Ländern mit prekärer medizinischer Versorgung gearbeitet haben und dankbar waren für Medikamente, deren Packung angebrochen oder nach Datum abgelaufen war. Bei uns werden diese Medikamente ausgeschieden und aufwändig entsorgt.

In verschiedenen Berufsgruppen sind ähnliche Entwicklungen festzustellen. Auch dort werden dieselben Fragen diskutiert. Was ich bisher nie erlebt habe, ist dass eine Vorschrift zurückgenommen wurde, weil sie sich als sinnlos erwiesen hat. Oder gibt es dies?


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