Das Telefon als Heilmittel?
Aktualisiert: 23. Nov. 2020
Eine interessante Erfahrung habe ich in der langen Zeit meiner Praxistätigkeit immer wieder gemacht: Sehr häufig wurde bei der Schilderung der Beschwerden und Symptome erwähnt, dass sich seit dem Anruf in der Praxis die Symptome deutlich gebessert hätten und jemand nur gekommen sei, weil der Termin schon vereinbart war und man einfach sicher sein möchte, dass nichts Schlimmes vorliege.
Man kann sich verschiedene Gedanken zu dieser Tatsache machen. Vielleicht ist das Gesundheitssystem zu einfach nutzbar und die Konsultation ist mit der Prämie eigentlich schon bezahlt. Es waren aber oft Leute dabei, die wegen ihres hohen Selbstbehaltes die Kosten voll übernahmen. Dies kann also nicht der einzige Grund sein. Viele Krankheiten zeigen einen spontanen Heilungsverlauf und so kann es in der Zwischenzeit zu einer Besserung gekommen sein.
Ich glaube jedoch nicht, dass es so viele Leute gibt, die einfach zu früh anrufen und die Geduld nicht aufbringen, zuerst ein wenig zu beobachten. Oft waren die Krankheitszeichen derart, dass man aus medizinischer Sicht eine fachärztliche Meinung durchaus als nützlich oder notwendig betrachten konnte. Was aber bewirkt die Besserung? Dazu habe ich eine eigene Theorie entwickelt und diese wurde mir von etlichen Patienten bestätigt. Treten bisher unbekannte Krankheitszeichen auf, so führt dies mit der Zeit zu einer Verunsicherung. Man weiss nicht, ob es etwas Bedrohliches sein könnte und hat entsprechend Mühe, es für sich irgendwo einzuordnen. Ratschläge von Angehörigen oder Bekannten helfen vielleicht, können aber auch verunsichern. So ist jemand oft beunruhigt und hätte gerne mehr Sicherheit. Schliesslich ruft man dann doch für einen Termin seine Hausärztin oder seinen Hausarzt an.
Von diesem Moment an hat man die Verantwortung für sich selbst geteilt oder delegiert. Man erwartet bei der Konsultation eine Klärung oder Gewissheit. Dies ist bereits der erste Schritt zur Entlastung. Auch wenn es etwas Unangenehmes sein sollte, man weiss dann wenigstens, woran man ist und erhält gleichzeitig Hilfe. Diese Erleichterung trägt auch dazu bei, sich freier zu fühlen und nicht ständig an den Symptomen herum zu studieren. Die Fachperson wird mit Rat und Tat zu helfen wissen und die Heilung unterstützen. Die Zwischenzeit bis zum erhaltenen Termin ist dann bereits eine Zeit, in welcher man sich sicherer und besser fühlt und dem Körper und dem Geist auch die Freiheit gibt, etwas zuversichtlicher zu sein. So komplex wie ein Heilungsverlauf abläuft, so wichtig ist auch, dass er nicht durch Angst oder Ungewissheit gestört wird. Dies scheint mir einer der Gründe zu sein, wieso der Anruf bereits zu einer Besserung führt. Hat jemand eine andere Ansicht oder Idee zu diesem Phänomen, dann möchte ich es gerne erfahren.